Archiv für August 2010

Bloß nicht denken!

31. August 2010

In den vergangenen Tagen und Wochen wurde uns ein neuer Heiland geboren.

Er war schon früher mit seinen asozialen und ausländerfeindlichen Verbalauswürfen aufgefallen.

Obwohl der „Wahrsager“ Thilo nachweisbar unter Halluzinationen leidet und selbige auch noch als „Analyse der Realität“ bezeichnet, hielt das weder „bürgerliche“ Politiker und derartige Medien davon ab, den Geisteszustand selbigen Heilandes zu loben und ihm kräftig auf die Schulter zu klopfen.

Nach tagelangen „Bravo!“-Rufen sah man sich bei Springer und Bertelsmann dazu ermuntert, noch mehr braunen Dreck auszuschütten.

Erst als Thilos „Genanalysen“ auftauchten und darin das Wort „Juden“ vorkam, war wohl der Bogen etwas überspannt.

Der israelische Empörungsrat trat plötzlich hervor (die Muslimhetze hatte ihm auch gut gefallen) und nach seiner Kritik gingen dann auch pflichtgemäß einige Schulterklopfer auf Abstand.

Der Brutalstmögliche wandt sich wie ein schleimiger Regenwurm zwischen „Klasse gemacht, Thilo!“ und „unangemessen!“… die meinungsfreie Anführerin der Hornissenkoalition wartete wie immer die mediale Windrichtung ab.

Erst als der „Wahrsager“ erkannte, dass eventuell sein 20.000-Euro-Job bei der Bundesbank auf dem Spiel stand, machte er einen vorsichtigen Rückzieher und bezichtigte seine Kritiker der „bewussten Fehlinterpretation“. Natürlich verbunden mit der Aufforderung, sein Buch zu kaufen. 🙂

Was er übersah: BILD & Co haben nicht über sein Buch berichtet, sondern daraus. Seine eigenen „Erklärungen“ sorgten schließlich dafür, dass der Spielraum für Interpretationen möglichst auf Nano-Größe schrumpfte.

Lesebefehl: Manfred Bleskin: Sarrazin ist Teil einer Hetzkampagne

Realitätsstörung

Da war also dieser Rechtsradikale in den Medien und obwohl seine Aussagen offensichtlich und nachprüfbar Hirngespinste sind, standen alle geschlossen hinter ihm und riefen „Ist doch wahr…!“

Ganz anders geht man hingegen mit jemandem um, welcher die Realität tatsächlich erwähnt und damit der jüngeren Siegergeschichte einen kleinen Kratzer verpasst: Mathias Platzeck.

Platzeck gab dem ehemaligen Nachrichtenmagazin ein Interview anlässlich des unbekannten und unbesungenen „Tages des Beschlusses der Volkskammer zum Beitritt der DDR zum Geltungsbereichs des Grundgesetzes.“

Platzeck im Spiegel:

Mit dem Beitritt habe eine „gnadenlose Deindustrialisierung Ostdeutschlands“ begonnen.

Die westdeutsche „Anschlusshaltung“ sei verantwortlich für „viele gesellschaftliche Verwerfungen bei uns nach 1990.

Den Ostdeutschen sei das Gefühl vermittelt worden, sie müssten alles wegwerfen, „es war alles Stasi und alles ideologieverseucht“.

Alles Aussagen, welche kein vernünftiger Mensch bestreiten kann.

Aber was geschieht plötzlich?

Empörung an allen Fronten!

WELT:

Scharfe Kritik an Platzecks Anschluss-Vergleich!

Der Theologe Richard Schröder bezeichnete die Formulierung als „weitab daneben“

Dieser „Theologe“ ist Chef des Propaganda-„Forschungsverbund SED-Staat“ der FU Berlin.

Theologe Schröder saß jahrelang im Beirat der Gauck/Birthler-Behörde. Bei „DDR“ bekommt er genauso Bluthochdruck wie der „Historiker“ Hubertus Knabe.

CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski: Platzeck „diskreditiert“ das demokratisch legitimierte DDR-Parlament.

„Wir sollten in der politischen Polemik auf Vergleiche mit der Nazizeit verzichten“, sagte Schröder WELT ONLINE

Hä? Wo hat der „SED-Regime-Forscher“ einen Nazivergleich entdeckt?

Nirgends…er stellt ihn einfach selbst her:

Den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes mit dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland im März 1938 in Verbindung zu bringen, „war schon 1990 vollkommen abwegig“.

Nun mal historische Tatsachen: Als Österreich „Heim ins Reich“ geholt wurde, geschah das durch die Wehrmacht. Dem „Anschluss Österreichs“ lag eine Propagandalüge, aber kein parlamentarischer Beschluss zugrunde.

Selbstverständlich hat das Dritte Reich darauf verzichtet, den Einmarsch in Österreich als Okkupation, Eroberung oder dergleichen zu bezeichnen. Stattdessen einigte man sich auf die verharmlosende Propagandafloskel „Anschluss“. Hört sich ja auch irgendwie netter an…nicht wahr?

Für den „Historiker“ Schröder ist die Nazi-Propaganda wahre Realität. Offensichtlich ist er der Meinung, „Anschluss“ sei die legitime Bezeichnung für einen militärischen Überfall.

Deshalb darf man den Anschluss der DDR nicht „Anschluss“ nennen sondern muss so tun, als sei etwas „vereinigt“ worden. Alles klar?

Man habe nicht wissen können, wie lange Gorbatschow an der Macht bleibt; außerdem stand die DDR vor der Zahlungsunfähigkeit.

Ahja… nicht das Kapitalistenregime mit dem korrupten „Kanzler der Einheit“ hat dazu gedrängt, die Systemkonkurrenz abzuschaffen…es war die Angst vor einem unbekannten Gorbatschow-Nachfolger!

Historisch gesehen grober Unfug: Der Zerfall des RGW (westdeutsch: „Ostblock“ oder „Warschauer Pakt“) hatte schon mit der Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze begonnen und wäre auch durch Stalin persönlich nicht mehr zu verhindern gewesen.

Und das die DDR „zahlungsunfähig“ gewesen wäre…das haben die Siegerhistoriker bis heute in ihren Lehrbüchern. Ganz im Gegensatz zu den real existierenden Gutachten über den Zustand der DDR 1990 von der Kohl-Regierung, der Bundesbank, der Deutschen Bank, der Weltbank u.a.

Sueddeutsche:

womöglich benutzte der Ministerpräsident diesen Terminus in Anlehnung an die Einverleibung Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland im Jahre 1938.

„Womöglich“… schreibt die Sueddeutsche. Der „Nazivergleich“ stammt also nicht von Platzeck, sondern entspringt der Fantasie des „DDR-Historikers“ Schröder.

Springers WELT war das natürlich egal.

B.Z. Berlin

Springers Ableger B.Z. zeigt dann auch prompt, das Platzeck Recht hat:

Platzeck: (…) „es war alles Stasi und alles ideologieverseucht“

B.Z.: Ehemalige Stasi-Mitarbeiter sind seine Regierungspartner.

Wen die Millionärspresse nicht mag, heftet sie gleich mal ein „Stasi“ an die Backe.

Platzeck kritisiert das, die Springerpresse liefert prompt den Beweis.

Ex-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld (CDU) weist die Kritik Platzecks als „SED-Propaganda“ zurück.

Angeblich sind Bürgerrechte ja universell und unteilbar. Es passt halt nicht wirklich in die Siegerlegende, dass einige „DDR-Bürgerrechtler“ ihre Ambitionen zusammen mit der DDR entsorgt haben.

Zumindest ist man so ehrlich, von „Ex“ zu sprechen. Warum sollte ein Bürgerrechtler auch der CDU beitreten?

„Die DDR-Wirtschaft war aufgrund der Politik der SED bankrott.“

Lasst euch doch mal was Besseres einfallen! Zur Abwechslung könnte man ja auch mal den Bankrott des Kapitalismus näher betrachten. Wirtschaftlich, politisch und moralisch.

Joachim Zeller (CDU) empört sich über den Begriff „Anschluss“ in Platzecks Wortwahl: „Der Begriff verbietet sich, weil er eine Analogie zum Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland herstellt.“

So werden Legenden gestrickt. Zukünftig steht also auch der Begriff „Anschluss“ auf der Tabu-Liste.

Obwohl Platzeck ihn nie derartig benutzt hat (er spricht von „Anschluss-Haltung der Westdeutschen„).

Es ist ja auch unbestreitbar, das sich westdeutsche Politiker und „Investoren“ im Osten aufgeführt haben wie Eroberer und Kolonialherren.

Nur sagen darf mans nicht… 😀

siehe auch:

So nicht, Herr Schäuble!

sowie

Schulden ohne Sühne

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Am 3. Oktober 1990 erfolgte der „Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“.

15 Jahre später beschlossen zahlreiche „Ex-Bürgerrechtler“ und „Demokraten“, mehrere Millionen Menschen aus diesem Geltungsbereich wieder zu entfernen.

Nur weil die Kapitalbesitzer keine Verwendung mehr für sie haben.